Nathan to go: Die Zukunftsversion des alten „Nathan“

Am 25.01.2022 gingen die Schüler*innen des Q1 Grundkurses Deutsch gemeinsam mit ihrer Lehrkraft Frau Dr. Hahne ins Schauspielhaus Düsseldorf. Im Voraus hatten wir uns intensiv mit dem dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing auseinandergesetzt und eine Klausur über dieses Thema geschrieben. Obwohl wir gut mit dem Inhalt des Stückes vertraut waren, hat die moderne Inszenierung „Nathan to go” von Robert Lehniger uns in einigen Aspekten überrascht.

„Tretet ein, denn auch hier sind Götter“. Wie das von Lessing als Motto gewählte Zitat andeutet, werden in dem aufklärerischen Werk die Toleranzgedanken, Vernunft und Gleichwertigkeit der drei monotheistischen Religionen thematisiert. Darum geht es auch in der Inszenierung, „Nathan to go”. Die namensgebende Titelfigur Nathan versucht, Vernunft und Glaube in Einklang zu bringen. Seine Weisheit besteht darin, der Welt jeden Tag aufs Neue mit Toleranz und Großmut zu begegnen.

Die Schauspieler*innen gaben der idealistischen Grundidee eine konkrete Form und nahmen durch ihr intensives Spiel das Publikum spürbar gefangen. Sie gaben ihren Figuren Ecken und Kanten. Besonderen Eindruck gemacht haben die Figuren Daja und Sittah. Die Figur Daja als Ersatzmutter von Recha wirkt im Lessings Stück eher ernst und bieder. Die Maßstäbe ihres Handelns sind von konservativen christlichen Werten und ihrer Engstirnigkeit geprägt. Daja wirkte in der Inszenierung hingegen überraschenderweise viel lebendiger und man konnte ihre Liebe zu Recha trotz ihres religiösen Eifers sehr gut spüren. Ihre intime Beziehung zu Nathan war berührend. Die Figur Sittah wurde in der Inszenierung als eine, „Powerfrau” dargestellt: als Ratgeberin ihres Bruders war sie jederzeit bereit, ihre Interessen zu verteidigen. Sie war immer entschieden – auch wenn der Sultan offenkundig erheblichen Gefühlsschwankungen erlegen war und nur nach außen hin Stärke demonstrierte.

Anders als unsere Erwartung von altmodischen Kleidungen, spiegelte sich die Modernität des Stücks auch in den Kostümen der Figuren wider. Auffällig waren die Haarfarben der Figuren. Daja und der Tempelherr hatten als Christen beide hellblonde Haare. Recha hatte, als ein getauftes Christkind, hingegen dunkelbraune Haare wie ihr Ziehvater Nathan. Diese besondere Haarfarbe macht die Sonderstellung von Recha in der christlichen Gesellschaft äußerlich sichtbar und unterstreicht die Tatsache, dass Recha wegen ihrer Toleranzgedanken eher als ,,Kind Nathans ” denn als eine Christin bezeichnet werden sollte.

Der Regisseur kürzte Lessings ausladenden Fünfakter auf etwa zwei Stunden, was aber in keiner Weise die Aussagekraft des Stücks minderte. Er inszenierte sehr raffiniert. Die Mixtur von Theaterspiel und Video ist ein kluger Versuch, um auch theaterfernes Publikum zu erreichen. Die Videosequenzen mit den Monologen der Figuren waren für die Zuschauer*innen, die den, „Nathan” noch nicht gelesen haben, hilfreich. Die bekannten Zitate aus dem Drama wurden wiedergegeben.

Außerdem hat diese Mixtur auch die einfallsreiche und überzeugende Doppellösung am Ende ermöglicht. Das Video zeigte das von Lessing intendierte, „Happy Ending” originalgetreu: alle Figuren umarmten sich und freuten sich über die Wiedervereinigung der Familie.  Auf der Bühne aber zeigten der Tempelherr und Recha, schockiert und überfordert von den sich überstürzenden Ereignissen, ihre Zweifel, nachdem sie erfahren hatten, dass sie Geschwister sind und die zwischen ihnen entbrannte Liebe nicht leben können. Diese Doppellösung kompensiert das für heutige Rezipient*innen wenig glaubwürdige Ende von Lessings „Nathan“ und fordert die Zuschauer*innen auf, sich eine eigene Vorstellung von dem Schluss zu bilden.

Das zeitgemäße, unterhaltsame Theaterstück gibt Lessings aufklärerische und leicht umsetzbare Botschaft deutlich wieder. Allen, die sich für das Thema Toleranz und die Inszenierung eines Klassikers interessieren, sei dieses Stück wärmstens empfohlen.

Yiqi Yuan, Q1